Hi Leute,
derzeit findet gerade in einem anderen Thread eine sehr lebhafte und stellenweise auch sehr emotionale Diskussion statt. Abseits vom ursprünglichen Thema habe ich dabei sehr interessiert beobachten können, wie unterschiedliche Diskussions-Kulturen aufeinander prallen. Und hierin scheint mir sehr viel Zündstoff zu liegen.
Und da ein Forum ja ein Ort des Austausches und der Diskussion ist, denke ich, dass die Kultur, die in diesem Zusammenhang gepflegt wird, vielleicht einen eigenen Thread wert ist.
Ich würde gerne vor meiner Fragestellung meine eigene Sichtweise erläutern:
Ich selbst bin ein Mensch, der die Diskussion/Debatte für eine große Kulturleistung hält. Das Diskutieren aller möglichen Themen ist für mich fast schon eine "heilige" Angelegenheit, weil sie mir erstens erlaubt, Sachverhalte zu verstehen/verständlich zu machen und mich zum zweiten mit meinem Gegenüber in echten Kontakt bringt. Ich stelle mich mit meinen Sichtweisen zur Verfügung, kritisiert, gelobt, umgestimmt oder bestätigt zu werden. Und genauso mache ich das mit meinem Gegenüber auch.
Man könnte es auch so sagen: Die Diskussion ist für mich Sparring für die soziale/kognitive/emotionale Kompetenz.
Dabei ist mir in einer Diskussion nicht nur wichtig, WAS gesagt wird, sondern auch (oft viel mehr) WIE etwas gesagt wird. Das gibt mir sehr viel Aufschluss über den Menschen, den ich mir da gegenüber habe.
Die Diskussion, ob jetzt kontrovers oder korrespondierend, ist für mich Teil meines Lebens, ich treffe mich z.B. seit 16 Jahren jede Woche (nahezu ohne Ausnahme)mit meinen engsten Freunden. In dieser Runde wird dann entweder Pen&Paper-Rollenspiel gespielt oder eben über irgendwelche Themen diskutiert.
Soviel kurz zu meinem Debatten-Background.
Jetzt zur hiesigen Diskussions-Kultur, wie ich sie derzeit erlebe (und das nicht nur hier im Forum, das möchte ich anfügen).
Ich hab mich in diesem Forum angemeldet, weil ich gesehen habe, dass hier im Gegensatz zur Alternative durchaus kontrovers und sachlich diskutiert wird und sich der Troll-Anteil auf ein absolutes Minimum beschränkt.
Aber auch hier sehe ich ein paar Seiten, die mir persönlich sehr missfallen.
Hier, genau wie in vielen anderen Foren, wird wert auf kurze, knappe und sachliche Beiträge gelegt. Ich beobachte seit langem, dass die Effizienz immer mehr Einzug in die Debattier-Kultur hält. Knackig formulierte Argumente, bitte nicht mehr als zwei oder drei Zeilen. Dieses Axiom wird allenthalben auch von verschiedenen Mods angemahnt.
Aber warum eigentlich? Wenn ich mich in einem Forum anmelde, dann bin ich (korrigiert mich, wenn ich falsch liege) doch jemand, der am Austausch von Meinung/Wissen/Erfahrung interessiert ist. Nur warum bin ich denn nicht daran interessiert, mich mit den Äußerungen meines Gegenübers zu beschäftigen? Warum will ich seine Meinung in kurzer Form und zeiteffizient konsumieren? Warum nehme ich mir denn nicht die Zeit, mich mit dem Geschriebenen meines Gegenübers auseinander zu setzen? Ich empfinde das Ermahnen hin zum Kurzfassen als unhöflich und als Zeichen, dass es mir mein Gegenüber nicht wert ist, mich mit ihm und seinen Aussagen zu befassen.
Wenn ich Drei-Zeiler möchte, melde ich mich bei Twitter an und lasse mir das Argument des Gegenübers mundgerecht vorgekaut in den Hals würgen. Hier werden Argumente nicht gehört/gelesen sondern konsumiert.
Genauso läuft es dann mit der Antwort...ein kurzer Drei-Zeiler muss als Antwort reichen. Das ist keine Diskussion, sondern eine hoch effiziente Gegenüberstellung von Meinungen. Effizienz will ich in meinem Auto haben, aber nicht in der Diskussion. Immerhin haben wir hier nicht begrenzte Sendezeit.
In meinen Augen lebt die Diskussion von der Ineffizienz...man kommt vom Thema ab, eröffnet neue Räume, ignoriert diese dann oder füllt sie mit neuen Inhalten. Eine Diskussion sollte ein lebendiges Geschehen sein, und keine tot-moderierte Twitter-Schlacht. Auch das unkommentierte Verlinken von Zeitungsartikeln oder Youtube-Videos ist für mich keine Diskussionskultur. Wenn ich etwas zu einer belebten Diskussion beizutragen habe, sollte ich die Höflichkeit besitzen, mir dafür Zeit zu nehmen. Immerhin tun die anderen das (hoffentlich) auch. Ich verzweifle schier daran zu sehen, dass das Eindampfen von Inhalten in möglichst wenige Worte heute eine Art Qualitätsmerkmal wird...die Diskussion ist eine Kultur und eine Geisteshaltung und sollte sich keinem ökonomischen Prinzip unterwerfen.
Dass Diskussionen manchmal emotional werden und man sich gegenseitig Dinge an den Kopf wirft, finde ich im Übrigen nicht schlimm. Klar, alles muss im Rahmen sein und persönliche Beleidigungen haben in einer Diskussion keinen Platz. Aber zu einer Debatte gehört eben auch die Emotion. Wenn mein Gegenüber emotional wird, zeigt mir das, dass derjenige auch voll bei der Sache ist und die Dinge ernst nimmt.
Im Übrigen muss eine Diskussion auch nicht immer zu einem Konsens führen. Warum auch? Im besten Fall haben sich für alle Beteiligten neue Perspektiven eröffnet und jeder geht mit mehr nach Hause, als er gekommen ist. Aber das kann eben nur funktionieren, wenn alle Beteiligten sich auch die Zeit nehmen, ihre Argumente ausgiebig darzustellen und die Argumente der anderen interessiert und konzentriert zu lesen.
Ich fomuliers mal anders: Wenn jemand ein Problem damit hat, einen langen Text zu lesen und eine Botschaft heraus zu filtern, sagt das meistens mehr über den Lesenden als über den Schreiber aus.
Ich selbst habe in meiner Tätigkeit als Mod niemals einen User gebeten, seine Posts kürzer zu fassen. Das stand mir, mit Verlaub, in meinen Augen nicht zu. Als Mod habe ich meine Aufgabe darin gesehen, oben genannte Beleidigungen zu unterbinden und die Köpfe ein wenig zu kühlen wenns arg zu sehr hoch kocht. Was hab ich denn ansonsten zu verlieren? Ein Thread läuft aus dem Ruder...na und? Es ist ja nicht so, als würde mir deswegen der Speicherplatz ausgehen. Außerdem kann man alles ja noch einmal nachlesen, es geht nichts verloren. Und oft finden sich die interessantesten Inhalte gerade in einer Diskussion, die ihren Ausgangspunkt thematisch ganz wo anders hatte.
Manchmal tuts mir gut, mich an eines zu erinnern...nämlich den Ursprung des Wortes Forum. Doch die alten Griechen und Römer würden sich im Grabe umdrehen wenn sie wüssten, was wir aus ihren alten Hallen des Diskurses gemacht haben.
So, nach den vielen Worten jetzt natürlich die Frage:
Wie sollte in digitalen Foren diskutiert werden? Ist da noch Platz für echte Diskussion oder nicht? Ist euch das Einlassen auf das Gegenüber wichtiger oder das Angrenzen? Und reichen Drei-Zeiler um eine Diskussion zu bereichern?
Ich bin gespannt auf eure Meinungen!