Paladin
Erst einmal danke für die ausführlich Antwort zu unserem Schulsystem. Einige Dinge sehe ich - durchaus auch als ehemaliger Schüler - zwar ein wenig anders, möchte das aber gar rnicht unnötig hier im Threa auswälzen und breit ausdiskutieren. Die von mir gestellte Verständnisfrage ist damit ja bereits beantwortet.
Paladin schrieb:
In der Kampfkunst wird - traditionell - gesagt: Judo ist Judo, Taekwondo ist Taekwondo und Savate ist Savate. Die Moderne sagt: alles ist Kampfkunst - die Zusammenhänge sind wichtig. Mir ist die Sichtweise gerade auf diese Dinge viel zu einfach. Das ist so, als wenn jemand vor einem Bild steht, einen Elefanten erkennt und sich fragt, warum das Bild "Sonnenuntergang" heißt. Die Lösung ist so einfach, für manche aber doch zu kompliziert: Einfach ein paar Schritte zurückgehen (Rückschritte machen, ist eben in unserer Gesellschaft nicht beliebt und wird oft mit "Versagen" erklärt), und schon kann man das Bild in seiner vollen Pracht sehen und erkennen, dass dort tatsächlich ein Sonnenuntergang dargestellt wurde und der Elefant lediglich ein Ausschnitt des Bildes ist.
Das mag auf wenige oder viele Personen zutreffen, nur trifft auch zu, dass man sich das Bild erstmal als Ganzes ansehen kann (kleinste Details werden dabei dann nicht wahrgenommen) und dann entdeckt man z.B. diesen Elefanten, den man besonders gelungen findet (egal wie der Nächste das empfinden mag - vielleicht steht ja ein schöner Baum neben dem Elefanten oder oder oder), geht deshalb näher ans Bild und entdeckt an diesem Elefanten aus der Nahdistanz plötzlich lauter Dinge (Pinselführung, Erhabenheiten, Farbnuancen etc.), derer man bei der Gesamtschau allein niemals wahr geworden wäre.
Ich persönlich halte den zweiten Weg für den öfter beschrittenen und ob man dann wieder zur Gesamtschau zurückkehrt oder gar selbst solche Bilder malt oder auch nur Elefanten oder Bäume malt, das ist dann einfach eine Sache der persönlichen Präferenzen und ALLE diese Präferenzen sind jeweils weder besser noch schlechter als die Anderen. Ausnahme wäre für mich jetzt beispielsweise das Fälschen solcher Bilder mit dem Ziele der eigenen Bereicherung unter Ausnutzung der Naivität Anderer (egal ob finanziell oder emotional) oder das ganz bewusste Anbieten von Elefantenbildern als Bildern von Bäumnen und umgekehrt.
Ich persönlich bin Fan von nennen wir es mal Elefanten, möchte auch gar nicht Anderes zeichnen, weiß aber sehr genau, dass auf eine Leinwand i.d.R. mehr als nur ein Elefant passt.
Paladin schrieb:
Tradition in der Kampfkunst ist für mich keinesfalls die Aufteilung in Systemen und das beharren darauf eben diese Systeme und nur die in diesem System vorhandenen Rituale, Techniken und Prinzipien. Tradition ist für mich übergeordnet, in Deutschland würde ich dazu wohl eher das Wort "Etikette" benutzen. Also: Das Wissen über die Kleidung, das "sich einlassen auf die Trainingsstunde", das gemeinsame An- und Abgrüßen für ein verlässliches Miteinander, usw. Es geht darum, diese Dinge zu seinem Eigen zu machen, es in sich aufzunehmen, in sich wirken zu lassen und zu sehen, dass es einem gut tut, weil es verlässlich ist. Also auch hier sollte es nicht darum gehen, sich Ritualen anzupassen oder anzugewöhnen.
Ich finde gut, dass Du schon einmal sagst, was Tradition FÜR DICH ist, denn dann muss das nicht zwingend mit dem übereinstimmen, was z.B. der Duden dazu sagt oder das Lateinische, wo es einfach um ein Überliefern geht und das vermeidet u.U. schon im voraus die eine oder andere unnötige Kontroverse.
Den ersten Satz verstehe ich nicht, da scheint mir möglicherweise ein Verb beim Niederschreiben (des sicherlich vollständigen Gedankenganges) irgendwie durchgeflutscht zu sein.
Wie dem auch sei i.V.m. den zwei Folgesätzen ergibt sich in meinen Augen, dass Du einen Gegensatz darstellen möchtest zwischen der Überlieferung innerhalb eines Systems wie etwa eines Kampfkunststils und einer Überlieferung innerhalb eines größeren, viele kleine Systeme enthaltenen, übergeordneten Systems wie z.B. unserer gesellschaft als solcher. Falls das so gemeint sein sollte, so sehe ich diesen Widerspruch nicht, da die Überlieferung in einem System durchaus Systeme völlig verschiedener Größe beinhalten kann, seien es nun Eltern und Kind und oder auch z.B. das gesamte Europa, in welchem zumindest teilweise andere Werte vermittelt werden als in Asien oder der muslimischen Welt (womit ich keine Wertediskussion gestartet wissen möchte, sondern einfach nur tatsächlich Unterschiede oder gar große Gegensätze veranschaulichen möchte).
Ich möchte mal den Begriff Tradition nach dem Wortlaut im Duden vorstellen (Hervorhebung von mir eingefügt):
Duden schrieb:
Tradition, die
etwas, was im Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o. Ä. in der Geschichte, von Generation zu Generation [innerhalb einer bestimmten Gruppe] entwickelt und weitergegeben wurde [und weiterhin Bestand hat]
Paladin schrieb:
Modern in der Kampfkunst ist, wenn man das Gefühl hat, sich nicht einem System anpassen oder - um ein böseres Wort zu benutzen - unterordnen zu müssen. Vielmehr ist es das Ziel, das System zu individualisieren, sodass jeder Kampfkünstler das System zu "seinem" System umfunktionieren kann. Gerade für Systeme, die auf der Straße Wirkung zeigen sollen, eine m. E. alternativlose Methode.
Zu diesem Punkt möchte ich - rein anhand meiner subjekltiven Erfahrungen, allumfassend geht das wohl auch ga rnicht - folgendes anbringen:
Den Gedanken sich nicht anpassen zu müssen/wollen und Dinge einfach an sich selbst anzupassen (sich selbst zu verwirklichen wäre der nächste Schritt) empfinde ich persönlich als einen überwiegend westlich geprägtes Ideal, wo das Individuum in den Vordergrund tritt, wohingegen in Fernost (ich schreibe DARÜBER i.S.v. Schuster bleib' bei deinen Leisten und ich komme, bin und bleibe halt dort verwurzelt) kulturell bedingt die Harmonie des Großen Ganzen erstrebenswertes Ziel ist vor dem der Einzelne auch einmal zurücktreten muss. Ich mag mir selbst am wichtigsten sein, für die Welt bin ich es aber nicht, sondern nur ein kleiner Teil des Ganzen.
Das kleine System Vater, Mutter Kind als EIN mögliches Uchi, ein Einheitsgebilde dem man zugehörig ist als der Vater, die Mutter oder das Kind dieser Beiden (möchte das jetzt nicht bis in die "kleinste Teilchen"-Ebene strecken) - im Gegensatz zum Soto, dem Äußeren, allem was eben nicht zu diesem inneren Einheitsgebilde gehört - ist wie die kleinste Matruschka-Puppe, welche in den größeren steckt- Die größte Matruschka-Puppe (um auch hier eine fiktive Grenze zu setzen) wären dann Tennô und jap. Volk. Jede Matruschka-Puppe ist jeweils ein vergößertes Abbild der nächstkleineren.
Nachfolgendes gilt unter Vorbehalt, macht aber zumindest meiner Erfahrung den Löwenanteil aus:
"Das System muss sich dem Anwender anpassen und nicht umgekehrt." empfinde ich oft als Ausrede dafür, Dinge nicht so meistern zu können oder wollen, wie sie gemeistert werden sollen und deshalb schlichtweg sein Eigenes Ding zu machen, weil's halt der einfachere Weg ist.
"So und nur genau so soll es getan werden/aussehen." widerspricht dem "uns" eingebleuten Drang nach persönlicher Freiheit und totaler Gleichberechtigung und mit asiatischen Konventionen können sehr viele Leute nicht umgehen, weil sie FÜR SICH nicht den wahren Sinn dahinter entdecken können oder möchten, immer nur die Bevormundung sehen (teils gar als vermeintlichen Machtmissbrauch). Das System (mitunter als Shu-ha-ri den Kampfkünstlern geläufig) bedeutet aber nicht Einkerkerung des Individuums in festen Formen, sondern ganz im Gegenteil die Befreiung davon (allerdings NACHDEM man die Dinge auch vernünftig gemeistert/verinnerlicht hat). Man ahmt stur Formen nach (was keinem Denkverbot entspricht, auch wenn das oft so vermittelt zu werden scheint), dann variiert/bricht man die Formen und ganz am Ende bedarf es keiner Formen mehr, man verlässt sie und ist völlig frei im Tun, Alles findet sich von selbst.
Paladin schrieb:
Komme ich letztlich zu den Visionären. Einer der wohl bekanntesten Visionäre war Bruce Lee. Er war seiner Zeit meilenweit voraus.Paladin
Man könnte darüber wahrscheinlich trefflich streiten aber das ist glücklicherweise auch gar nicht meine Baustelle, weshalb ich diesbezüglich dann doch lieber nur den Zaungast spiele.
Paladin schrieb:
Gerade in den modernen jap. Kampfkünsten wie z.B. Aikidô, Judô, Karatedô, Kendô kann man das sehr schön sehen. Die Praktizierenden im Westen vollführen "Rituale" (z.B. das Verbeugen oder das ominöse "OSS!" in einigen Karatestilen) ohne auch nur einen einzigen Gedanken an die Entstehung, Herkuft oder Bedeutung dessen zu verschwenden. Man sehe sich mal an, wie sich gerade Judôka "verbeugen"... absolut schrecklich. Sie sollten es wirklich lassen (oder richtig lernen).
Das würde ich jetzt einfach mal bestreiten und von Dir eine Quelle benannt bekommen, die Deine These belegt. Alternative: Du schreibst, dass das Deine Erfahrungen mit den von Dir bekannten Praktizierenden sind. So klingt das sehr allgemein und pauschalisierend
An dieser Stelle möchte ich zumindest für den jap. Bereich - auch ohne jetzt Belege herauszusuchen - RYOMA beipflichten und darüber herrscht in der Koryû-Community m.W.n. auch Konsens. Auf jeden Fall kann ich subjektiv RYOMAS Eindruck vollauf bestätigen.